DIE ERSTE MEHRTÄGIGE GROSSVERANSTALTUNG
Am 3. Juni 1949 jährte sich zum 50. Mal der Todestag von Johann Strauss. Aus diesem Anlass veranstaltete die Johann Strauss-Gesellschaft Wien erstmals in ihrer Geschichte eine mehrtägige Veranstaltung, die sich bescheiden „Johann Strauss-Festwoche in Wien“ nannte, obwohl sie sich über 12 Tage, also fast zwei Wochen erstreckte, und zwar vom 2. bis zum 14. Juni 1949. Vier hochrangige Politiker hatten den Ehrenschutz übernommen: Bundeskanzler Leopold Figl, Vizekanzler Adolf Schärf, Unterrichtsminister Felix Hurdes und der Wiener Bürgermeister Theodor Körner.
Neuerlich war es gelungen hochkarätige Künstlerinnen und Künstler zur Mitwirkung zu gewinnen. Dies bewies bereits das festliche Eröffnungskonzert am Vorabend des Todestages von Johann Strauss, am 2. Juni 1949: Karl Böhm leitete die Wiener Philharmoniker, die damit erstmals bei einer Veranstaltung der Johann Strauss-Gesellschaft Wien in Erscheinung traten. Als Gesangssolisten hatte man Wilma Lipp und Karl Friedrich von der Wiener Staatsoper engagiert. Als Aufführungsort wurde das Theater an der Wien gewählt, in dem fast alle Strauss-Operetten ihre Uraufführung erlebt hatten. (Dieses Theater diente dem Ensemble der Wiener Staatsoper, die in den letzten Kriegstagen schwer beschädigt worden war, gemeinsam mit der Wiener Volksoper 1945 – 1955 als Ausweichquartier.)
Eine Premiere besonderer Art bot der Todestag selbst: Nach der obligaten Kranzniederlegung am Ehrengrab des Walzerkönigs am Vormittag präsentierte unsere Gesellschaft am Abend erstmals in ihrer Geschichte eine Freiluftveranstaltung. Am Platz vor dem Wiener Rathaus fand eine „Große Serenade“ statt, die von den Wiener Symphonikern unter der Leitung von Rudolf Moralt gestaltet wurde. Dabei erstrahlte das Wiener Rathaus in festlicher Beleuchtung, was in der entbehrungsreichen Zeit nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs eine außergewöhnliche Besonderheit darstellte.
Und die nächste Premiere wurde bereits am darauffolgenden Abend gefeiert: Erstmals in ihrer Geschichte veranstaltete unsere Gesellschaft einen Ball, und zwar in den Räumlichkeiten des Wiener Rathauses.


In die Festwoche war auch erstmals die Wiener Volksoper miteingebunden. Sie präsentierte an vier Abenden je eine Aufführung der vier meistgespielten Operetten von Johann Strauss und beendete den Veranstaltungsreigen am 14. Juni mit der Premiere eines neuen Ballettdivertissements, bei dem neben Musik aus den vier bereits gespielten Operetten auch Ausschnitte aus den Strauss-Werken „Das Spitzentuch der Königin“, „Der Karneval in Rom“ sowie „Prinz Methusalem“ verwendet wurden. So manche weitere Institution wirkte ebenfalls erstmals bei einer Veranstaltung der Strauss-Gesellschaft mit, wie z. B. die Wiener Sängerknaben oder das Tonkünstlerorchester, so manche hingegen zum wiederholten Male, wie z. B. das Staatsopernballett oder der Wiener Männergesangverein.
Abgerundet wurde die „Johann Strauss-Festwoche in Wien“ mit einer „Johann Strauss Festschrift“, mit der unsere Gesellschaft nicht nur auf den 50. Todestages von Johann Strauss Sohn aufmerksam machte, sondern auch auf den 100. Todestages seines Vaters, dessen es am 25. September desselben Jahres zu gedenken galt.
Mitten in der schweren Zeit des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg, mitten in der Besatzungszeit, wo die Entscheidung über die Zukunft Österreichs noch in den Sternen lag, hatte es die Johann Strauss-Gesellschaft Wien geschafft, ein wenig Heiterkeit in den tristen Alltag zu bringen und mit der Musik von Johann Strauss Hoffnung und Zuversicht zu verbreiten. Es grenzte fast an ein Wunder, dass eine so kleine Gesellschaft gerade in Zeiten wie diesen, wo es an allem mangelte, eine so gewaltige Festivität auf die Beine zu stellen vermocht hatte. Dies brachte ihr neuerlich hohe Anerkennung und internationalen Respekt. Liest man in der oben genannten Festschrift die Grußbotschaft des damaligen österreichischen Bundeskanzlers, Leopold Figl, so gewinnt man den Eindruck, dass dieser Leistung sogar eine politische Bedeutung beigemessen wurde: